Diskussionsnachricht 000003
11.06.2008, 13:27 Uhr
Alx
registriertes Mitglied
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Hallo alle miteinander!
Als Gelegenheitsmesserheld habe ich bisher zwar gierig mitgelesen, hatte aber für Euch Profis nichts Neues beizutragen.
Nun hat es sich jedoch ergeben, dass ich letzte Woche geschäftlich in London war und einen freien Nachmittag hatte. Bei meinem Rasiercreme-Einkauf bei Geo. F. Trumper in No 9, Curzon Street im schönen Mayfair stach mir ein Aushang in die Augen, der für einen Open-Razor Kurs warb. Den habe ich gebucht, nicht billig, GBP 75 für eineinhalb Stunden, aber immerhin kriegt man dann 20% Rabatt auf das ganze Sortiment.
Mein Barber war Marvin. Ein freundlicher Engländer in den Fünfzigern, der mich zuerst mal in den Keller geführt hat. Dort finden nämlich die Kurse statt, nicht im Rasiersalon hinten im Geschäft. Man will wohl nicht, dass die Kunden zugucken müssen, wie ein Schüler sich mit dem Open Razor malträtiert (und kann ggf. das Opfer leichter verschwinden lassen).
Zuerst hat Marvin mir ein stumpfes Übungswerkzeug in die Hand gedrückt und ich habe ihm meine Technik demonstriert. Die wurde dann scharf kritisiert, da ich das Messer bisher mit zwei Fingern am Erl gehalten habe. Dort gehören nach der Lehre von Trumper drei Finger hin (immer!). Marvin gab viele Tips, wie auch unzugängliche Stellen im Gesicht gut erreicht werden können (auch die linke Hand benützen, 'Backhand' rasieren, beim Rasieren der Backen immer Griffschalen zur Nase, da man sich sonst beim Ansetzen in die Ohren schneiden kann).
Dann folgte die Einweisung im Abziehen. Trumper verwendet den klassischen zweiseitigen (Dovo-) Abziehriemen, wobei der Hanfschlauch gut mit Paste behandelt wird (sic!). Diese Methode ist aber auch in London nicht unumstritten. Ich habe mich anschliessend bei der Konkurrenz erkundigt: Truefitt & Hill, St. James's Street und Taylor of Old Bond Street, die trotz dieses Namens an der Jermin Street domiziliert sind, wollten davon gar nichts wissen und haben ihre unbehandelten (Dovo-) Abziehriemen schwingend auf Trumper geflucht. Beim Abziehen auf der Lederseite wird bei Trumper das Messer in einem Winkel von 45° gehalten, so dass die Griffschalen beim Ziehen führen. So soll vermieden werden, dass bei einem schmalen Riemen die Spitze des Messers, die ja nicht immer rund ist, den Riemen verletzen kann.
Nach diesem theoretischen Teil ging Marvin zur Praxis über und hat mich barbiert, aber nicht gleich eingeseift. Die Schritte im Einzelnen:
1. Gesicht mit heissem Wasser abwaschen.
2. Skin Food einmassierten.
3. Eine Minute lang ein heisses Tuch auflegen (hier ein Wort der Warnung: Das Tuch ist wirklich heiss - sehr heiss). Für den Hausgebrauch empfiehlt Marvin einen (sehr) heissen Waschlappen, das sei praktischer.
4. Nochmals Skin Food einmassieren. Nicht abwaschen.
5. Schaum schlagen. Dabei nicht mit dem Pinsel in den Tigel, sondern mit dem Finger etwas Rasiercreme in das Waschbecken streichen. Mit dem nassen heissen (wichtig!) Pinsel (Super Badger, aber mindestens Pure Badger) in den Klecks Rasierseife stossen um die Creme in den Pinsel aufzunehmen, dann kräftig im Waschbecken (oder einem speziellen Becher) Schaum schlagen, bis der Schaum eine Konsistenz wie Schlagsahne hat.
6. Einseifen. Dabei hilft es, wenn man den Pinsel zwischen Daumen und Zeigefinger flachdrückt, so kann man den Bereich zwischen Oberlippe und Nase ideal einseifen.
7. Die Lippen freilegen. Darauf hat Marvin allergrössten Wert gelegt. Nur so sieht man die Lippen und schneidet sich nicht.
8. Rasur mit dem Stich. Glegentlich Schaum nachlegen. Das Messer gelegentlich reinigen, in dem man es in einem Bescher mit heissem Wasser rührt. Das funktioniere besser als fliessendes Wasser, das die Geschwindigkeit, mit der man die Klinge auf diese Weise durch das Wasser zieht, höher ist, als das fliessende Wasser. Dabei darf das Messer natürlich den Becher nie berühren.Dazwischen kann das Messer auch an einem Handtuch abgerieben werden, dass man sich über die Schulter gelegt hat (gleiche Bewegung wie beim Abziehen).
9. Abtupfen (nicht reiben!) mit einem feuchten heissen Handtuch.
10. Erneutes Einseifen.
11. Rasur gegen den Strich.
12. Entfernung der Seife durch einminutige Auflage eines heissen Tuches. War wiederum überrascht, wie heiss das Tuch ist.
13. Einen Alum Bar (Alaun) eiskalt abwaschen und nass über das Gesicht reiben (das macht der Kunde selbst). Den Alum Bar immer wieder eiskalt abwaschen und sanft reiben. Das brennt leicht, ist aber ganz erfrischend.
14. Gesicht trockentupfen.
15. Gesicht mit einer parfumfreien Feuchtigkeitslotion behandeln. Kein Aftershave aufs Gesicht.
16. Aftershave hinter die Ohren und auf den Hals/Nacken. Marvin: "On the hot spots, as a lady would do it." (Die Engländer haben einen sehr züchtigen Begriff von den Hot Spots einer Dame).
Nun fühlt man sich wie ein echter englischer Gentleman und die 75 £ hat man total vergessen, bzw. findet sie ausgezeichnet angelegt.
Zum Abschluss habe ich noch von den 20% Rabatt gebrauch gemacht und mir Skin Food, Moisturising Lotion (Fragrance Free), Rasiercreme Almond, einen Alum Bar, ein Aftershave "Marlborough" und als Souvenir ein Messer (Dovo Bismarck mit Gravur "Geo. F. Trumper" auf der Kinge) gegönnt.
Dann habe ich mich vom mit Trinkgeld wohl versehen Marvin verabschiedet und bin rasiert, gepflegt, duftend, reich bepackt und übel pleite einen Espresso trinken gegangen und habe mich gefühlt wie James Bond an einem guten Tag....
Beste Grüsse aus Zürich,
Alex
PS. Auch bei Taylor of Old Bond Street (in der Jermin St.!) und bei Trufitt & Hill kann man sich rasieren lassen. T & H wie auch Trumper haben soger noch etliche Kunden, die das jeden Morgen machen lassen.
PPS. Noch ein letzter Tip von Marvin dem Barber: Höchstens einmal am Tag rasieren und möglichst das Gesicht an einem Tag pro Woche ruhen lassen. Der Engländer von Welt, der sich ja nicht selbst rasiert, geruht am Wochenende unrasiert seine Flinten zu ölen oder was die Landed Gentry halt sonst so macht... |