Diskussionsnachricht 000000
01.05.2014, 20:19 Uhr
Drill Instructor
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Das pragmatische Programm (PP) in Abgrenzung vom vollen Programm (VP)
Anfangs wusste ich es auch nicht besser: Als Neuling sucht man (hoffentlich!) alles was man im Internet finden kann um in eine bisher unbekannte Thematik schnellstmöglich von 0 auf 100 einzusteigen. Im Bereich der Nassrasur findet man schnell das Volle Programm (VP) das wie die Lösung aller Probleme erscheint.
Anscheinend ist es unter Neueinsteigern das unumstößliche Mantra des Nassrasierens: Man musste sklavisch alles durchziehen, was im VP auch nur erwähnt wurde. Oft war dann zu lesen: „Ich habe Hautprobleme, die Rasur ist ungründlich und Blutverlust gab es auch – obwohl ich doch das VP gemacht habe!“ Nicht obwohl, sondern deswegen: Leider wurde das an sich sehr gut gemeinte VP als absolutes Minimalprogramm angesehen und vieles, was alternativ genannt wurde, wird nacheinander durchgezogen. In der Folge wurde manchmal die Haut über eine halbe Stunde oder länger mit so vielen „Vorbereitungsschritten“ malträtiert, dass sie nur noch verquollen und zerschunden war, bevor die Klinge das erste Mal auch nur in die Nähe der Haut kam. Da wurde heiß geduscht, am besten noch ein Peeling im Gesicht gemacht, dann heiße Kompressen ins Gesicht, Preshave und/oder Öl auf die total aufgequollene Haut gekleistert, die Seife viel zu lange einziehen lassen, etc. Für mich ist das als geradezu verpflichtend wahrgenommene VP (Volle Programm) eher das GG (Große Gewese) das nichts macht außer die Haut zu terrorisieren.
Gut gemeint ist halt oft das Gegenteil von gut gemacht.
Aber wie macht man es dann gut? Über die Monate des Experimentierens habe ich sehr viele (gefühlt: alle) Varianten einmal durchgemacht und für mich und meine Haut herausgefunden:
- Eine Dusche reicht völlig aus um Haut und Haare anzufeuchten und die Barthaare zu entfetten – insbesondere, wenn die Dusche mit einer guten Seife erfolgt.
- Eine heiße Kompresse macht man ausschließlich dann, wenn man mit komplett ausgetrockneter Haut eine Rasur durchführt, beispielsweise wenn man sich beim Barbier rasieren lässt. Also: Keine heiße Kompresse nach der Dusche!
- Pre-Öl hat bei mir ausschließlich dazu geführt, dass Haut und Barthaare ölig verkleistert waren. Während das Öl noch etwas in die Haut eingezogen ist, musste es ewig lange mit dem Pinsel von der Barthaaren entfernt werden – dadurch ist die Haut außenrum aber unschön aufgequollen. Also: Kein Öl und auch kein anderes Pre-Shave.
- Die Rasur wird dann gut, wenn der Rasierer das Barthaar schneidet und nicht die Haut. Dazu sollte er über die Haut hinweggleiten und das Haar gut erfassen. Dafür darf die Haut nicht aufgequollen sein wie ein Schwamm und das Haar darf auf keinen Fall extra eingeölt sein.
- Viele Prozeduren kommen aus dem Babiergeschäft und machen dort auch Sinn. Zuhause sind die Voraussetzungen teilweise ganz andere, siehe Dusche.
- Keine Peelings, Wunderwässerchen und sonstiges Gewese das Cleopatras Baderituale zu einer Katzenwäsche degradiert. Weniger ist mehr.
Daraus habe ich mein Pragmatisches Programm entwickelt, welches so aussieht:
- Falls ein Naturpinsel verwendet wird, stelle ich diesen vor der Dusche bis kurz unter den Knoten in das Waschbecken oder ein Wasserglas mit handwarmem Wasser.
- Dusche mit Savon du Midi: Hierdurch wird das Barthaar perfekt entfettet, die Haut gut gepflegt. Meine Dusche dauert ohne jegliche Hektik 6-7min, das reicht locker um die Sau / den Dachs vollständig zu wässern.
- Falls ich Rasiercreme (RC) verwende: RC ins Gesicht schmieren. Pinsel komplett ausschleudern, RC verteilen. Bei Synthetik-Pinseln die kaum Wasser speichern, muss öfter ein bisschen Wasser mit der Pinselspitze aufgenommen und gleichmäßig verteilt werden, beim Naturpinsel tropfe ich 1-2mal etwas Wasser auf den Pinsel, den Rest macht die Naturborste. Dann folgt entspanntes aufschäumendes Verteilen der RC, bis ein Schaumteppich entsteht der nicht mehr an der Haut klebt. Der Vergleich mit Joghurt ist sehr treffend.
- Falls ich Rasierseife (RS) verwende: Seife aufnehmen und Seife so lange schlagen, bis der Rasierschaum cremig, „schlotzig“ ist. Dann ab ins Gesicht und weiterarbeiten. Hier gilt ebenso: Der Schaum darf nicht wie eine Gesichtscreme auf der Haut kleben sondern muss sich zur Seite schieben lassen. Wenn der Pinsel das schafft, wird es der Rasierhobel auch schaffen. Also bei Bedarf mit der Pinselspitze Wasser aufnehmen und im Gesicht einarbeiten, bis der Rasierschaum richtig joghurtcremig wird.
- 1 Zug südwärts, 1 Zug nordwärts. Mehr muss nicht sein und belastet nur die Haut. Elementar ist, die individuelle Wuchsrichtung der Barthaare zu kennen und zu respektieren. Selbstverständlich wird zwischen den Zügen neu eingeschäumt.
- Gesicht sauberwaschen. Durch kaltes Wasser konnte ich bisher keine Verbesserung erkennen, daher lasse ich den Kälteschock sein.
- Mit einem Blatt Zewa o.ä. abtrocknen
- Sonstiges Hygieneprogramm bzw. Espresso ziehen um die Haut trocknen zu lassen
- Wenn die Haut spürbar trocken ist, AS(B) drauf.
- fertig
Die Pragmatische Rasur:
Eine wirklich sehr kleine Menge Rasiercreme kommt ins tropfnasse Gesicht, ohne Pinsel o.ä. gehe ich mit dem in Wasser getauchten Panasonic drüber, fertig. Extrem hautschonend, absolut ultrasauber und so nachhaltig, dass 16h später der Wattebauschtest locker bestanden wird. Das funktioniert nur, wenn 24h vorher gründlich mit der Klinge rasiert wurde. Dieses Vorgehen ist für mich optimal wenn ich auf zweitägige Geschäftsreisen gehe, dann muss ich nicht wegen einer Rasur den ganzen Rasierhobel-Klingen-Terz mitschleifen. Leider funktioniert das nicht zwei Tage hintereinander, dann bleiben weiche Barthaare stehen und das sieht ungepflegt aus.
Die Pragmatisch-Perfekte Rasur:
Wie oben kommt eine kleine Menge Rasiercreme oder (nicht notwendigerweise perfekt aufgeschäumte) Rasierseife ins tropfnasse Gesicht, dann gehe ich mit dem Panasonic drüber. Falls mit dem Pinsel Rasierseife aufgeschäumt wurde dann wird nochmal Rasierschaum nachgepinselt, ansonsten reicht die duech den Panasonic aufgeschäumte Rasiercreme für die Funktion absolut aus. Jetzt geht es direkt mit einem (gerne auch aggressiven) Hobel und einer scharfen Klinge gegen den Strich. Das ist fast genauso hautschonend und noch einen Tick nachhaltiger. Dieses Vorgehen funktioniert auch perfekt mit einem Zweitagesbart, da dann die Elektrofräse die kürzeren/härteren Stoppeln abmäht und der Hobel die weicheren/längeren Barthaare abschneidet ohne sich an den kurzen/harten Stoppeln zu verfangen. Deses Programm funktioniert unbegrenzt oft hintereinander.
Meine Gleichungen sind:
[Guter Rasierschaum] x [Saubere Technik] x [hautangepasste Nachbehandlung] = [Rasierergebnis], dabei ist
[Rasierergebnis] = [Glattheit] x [Hautschonung]
Wer sich nur rasiert um morgens rasiert zur Arbeit zu gehen für den ist hier Schluss. Für mich als Hobbyrasierer kommt zusätzlich das Equipment und der Spaßfaktor ins Spiel:
[Rasierergebnis] x [Equipment] = [Spaßfaktor]
Meine Definitionen dazu:
• Guter Rasierschaum: Darf die Haut nicht reizen, muss durch gute Gleiteigenschaften die Haut schützen, muss mit ausreichend Wasser zubereitet sein. Der Rasierschaum muss sich locker mit einer Feder von der Haut schieben lassen, ansonsten ist er zu fest. Nicht Nikolaus-Bauschaum sondern Joghurt-Konsistenz ist angesagt.
• Saubere Technik: Wuchsrichtung penibel beachten, Winkel einhalten, nur soviel Druck wie für die in allen anderen Aspekten bereits bestmöglich optimierte Technik unbedingt erforderlich. Länge der Züge je nach Kontur und Bartwuchs, Ausspülen zwischen den Zügen je nach Rasierhobelform und Rasierschaumkonsistenz.
• Hautangepasste Nachbehandlung: Für meine Haut ist Öl und alles was verstopft absolut tödlich. Ich nehme immer mal wieder ein gutes ASB direkt nach der Rasur aber ich habe auch viele ASLs verwendet die außergewöhnlich gut gepflegt haben. Platte Pauschalsprüche wie "Alkohol desinfiziert aber trocknet die Haut aus“ oder „Ich verwende nur Produkte von XYZ“ bringen niemanden weiter.
• Das Equipment trägt für mich massiv zum Spaß an der Rasur bei. Selbst wenn die Rasur jeden Tag perfekt wäre, ich brauche da immer wieder etwas Abwechslung. Ich mag es einfach, einen massiven Edelstahlgriff in der Hand zu haben obwohl er das Rasurergebnis sicher nicht signifikant verbessert.
So und jetzt schlagt mich. Vielleicht ist bei Euch ja alles anders und ohne stundenlanges Wasserleichen-Programm und einen Liter Öl geht garnix. Freut mich, dass hier jeder SEIN Programm gefunden hat. Das hier ist MEINES und ich stelle es hier vor weil ich erst durch Abweichung vom oft als unumstößlich und verpflichtend angesehenen VP wirklich zu einem im Ergebnis perfekten, absolut hautschonenden und mit mächtig Spaß erreichten Ergebnis gekommen bin.
-- Im Sommer 2014 habe ich kühlendes Aftershave verwendet. Alle drei Tage. |