Diskussionsnachricht 000000
11.08.2009, 18:35 Uhr
dailysoap
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Teil I
Der Markt von Rasierpinseln dürfte nicht einfach sein. Zum Teil vollständig handwerkliche Produkte (handgebundene Pinsel) sind gerade in der heutigen Zeit nicht preiswert zu produzieren und müssen sich in einem Markt behaupten, der von Dosenschaum und “einfachen” Borsten- oder “Industrie-Pinseln” geprägt ist. Zudem ist es nicht ganz einfach, Neukunden zu gewinnen, wenn diese vorher noch nie einen Pinsel zur Rasur benutzten und auch sonst wie keinen klassischen Zugang zur Nassraur gefunden haben.
Die Blütezeit der Rasierpinselproduktion dürfte vorüber sein, auch wenn die Nachfrage heute wieder spürbar ist, zumindest bei bestimmten Marken/Qualitäten.
Die Produktion namhafter Pinsel wird weltweit nur noch von einer überschaubaren Anzahl von Herstellern geleistet.
Zunehmend drängen in den Weltmarkt auch Pinselprodukte (fertige Pinsel oder sogar nur Pinselköpfe zur Weiterverarbeitung) asiatischer Hersteller.
Zudem schließt die hohe Haltbarkeit von 10 oder 15 Jahren (manche Hersteller oder Verkäufer sprechen sogar von 20 Jahren oder bisweilen “lebenslang“) einen baldigen Wiederkauf aus. Wer hat schon außerhalb der Nassrasur-Forumswelten wirklich zwei, drei oder fünf (oder mehr) Dachspinsel daheim im Bad stehen bzw. hängen… .
Des Weiteren müssen sich meist inhaltlich sehr traditionell strukturierte und auch sonst traditionell ausgerichtete Firmen den neuen oder sich ändernden Marktgegebenheit stellen, dürfen aber gleichzeitig ihre traditionelle Ausprägung nicht aufgeben. Dann das Personal. Wirkliche Könner auf dem Gebiet der Rasierpinselfertigung im Gegensatz zu früheren Jahren dürften rar sein. In Deutschland z.B. gibt es nur eine einzige Berufsfachschule für den Berufszweig “Bürstenmacher, Haarzurichter, Borstenpinselmacher, Feinhaarpinselmacher” - im Rathaus von Bechhofen. Die Branche sucht gute Fachkräfte. Es gibt die Werkstätten jedoch nur an wenigen Orten.
Gemessen am 19. und frühen 20. Jahrhundert sind heute nur wenige namhafte Marken übriggeblieben (weltweit rund 16 bis 19 Hersteller). Es dürfte insgesamt weniger Hersteller, aber mehr Marken geben. Einige Firmen produzieren für andere bzw. auch Zweitmarken. Manche Firmen haben zugunsten der Kosmetikpinsel und anderer Produkte die Fertigung hochwertiger Rasierpinsel zumindest über längere Zeit aufgegeben oder eingeschränkt, wie z.B. Victoria in Bechhofen (einst gegründet als Rasierpinselfabrik 1909, heute Geschäftszweig von Geka Brush). Andererseits gibt es auch Neuerungen wie Synthetikpinsel, Mischhaarpinsel und sehr viele Marken bekannter Häuser, die vermutlich fremdgefertigt werden.
Der heutige Zuspruch, den die höherpreisigen, handgemachten Rasierpinsel haben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen kleinen, feinen und sensiblen Nischenmarkt handelt.
So spürt man auch, dass sich gerade bei Tradtionsmarken “etwas tut” - Umstrukturierungen, Einzug moderner Fertigungsmethoden zumindest für bestimmte Arbeitschritte, neue Absatzmöglichkeiten. Das sind Maßnahmen, um sich für die Zukunft zu rüsten. Die Vermarktung von Traditionsartikeln verlangt viel Fingerspitzengefühl. Die Internet-Verkaufsseite von Plisson war sicher wirtschaftlich geboten und gerade für dieses Unternehmen ein ziemlicher, überraschender Vorstoß. Inhaltlich ist es eine reine Verkaufsplattform, die nichts von der Magie, den Glanz und die Firmengeschichte vermittelt. Keine Rede mehr davon, dass einmal diese Pinsel von Napoleon, Papst, Co. benutzt wurden. Über viele Jahre lag ein Schleier des Geheimsvollen, Unberührten, Einzigartigen über die Plisson-Werkstätte, nur wenige kannten den Ort der Manufaktur, Anfragen wurden selten beantwortet - dieser äußerliche Zauber ist nun wie weggeblasen. Geblieben sind natürlich immer noch Bilderbuchpinsel, zumindest im gehobenen Preissegment.
Einige Firmen positionieren sich neu, andere schließen sich zusammen oder lassen ihre Pinsel inzwischen von anderen Firmen produzieren.
Manche namhafte Hersteller produzieren ohnehin nicht nur Rasierpinsel, sondern eine ganze Pallette anderer Pinsel für den Künstler-Bedarf und/oder Kosmetik-Bereich bzw. andere Bereiche, wie z.B. Omega Kent oder Altesse.
Die Zukunft der altehrwürdigen Londoner Marke Simpsons (seit 1919) war einige Zeit ungewiss und die angekündigte HP jahrelang ergebnislos, zudem häuften sich Kundenreklamationen über nachlassende Qualität, wie man aus verschiedenen Foren entnehmen kann. Das scheint inzwischen überwunden. Die Marke wurde vom letzten Besitzer auf charmante Weise mit viel Herzblut eher wie ein Museum geführt, aber so war das Überleben der Marke wirtschaftlich auf Dauer anscheinend nicht möglich.
Simpsons hat nun einen neuen Besitzer. Die Pinsel werden seit jüngerer Zeit von Progress Vulfix (Isle of Man, UK - seit 1954) hergestellt, ein Unternehmen, das selbst Rasierpinsel produziert:
“A New Era for Simpsons Shaving Brushes”:
Artikel (Juni 2008)
Es ist allerdings bedauerlich, dass es zwar eine Vulfix-HP gibt, aber immer immer noch keine spezielle HP für Simpsons Pinsel.
Vulfix startete 1954, während das zugrundeliegende Unternehmen "Old Original Shaving Brush Company” bereits 1893 gegründet wurde.
Die beste Übersicht zu Simpson´s-Pinseln findet man immer noch auf der Seite emsplace.com:
HIER
Es ist allerdings fraglich, ob diese Broschüre immer noch die aktuelle Kollektion widerspiegelt.
Dann tauchen Marken auf, bei denen sicher nicht jeder auf Anhieb weiß, woher sie kommen, z.B. Savile Row oder Rooney.
Man könnte Rooney für eine neuere Marke halten, aber wird vielleicht erstaunt feststellen, dass es sich um “The World's Oldest Maker of Premium Quality Brushes” handelt; R. A. Rooney & Sons Ltd., London. Die Firma ist also noch älter als Simpsons. Tatsächlich sind Rooney-Pinsel hierzulande relativ spät ins Bewußtsein gedrungen, und wenn, dann eigentlich über das Internet. Die Firmengründung wird unterschiedlich beschrieben: spätes 17. Jahrh., aber auch frühes 18. Jahrhundert. Die Gründungsurkunde wurde bei einem Brand vernichtet, daher keine präzisen Angaben.
Ein paar Infos zur Rooney-Firmengeschichte:
Hier
Allerdings sagt auch Kent über sich: The world's oldest brush maker” (seit 1777). Sicher wurden speziell Rasierpinsel aber erst später gefertigt.
Dann Savile Row: es wird spekuliert, dass diese Marke von Vulfix speziell für quedusa.com hergestellt wird. Hochwertige Pinsel, die prächtig aussehen:
Quedusa
Namhafte Hersteller produzieren oder produzierten auch für andere Firmen mit anderem Namen. Die Marke John Bull London oder Paul Smith London z.B. wurde von Simpsons hergestellt.
Bei manchen Marken ist nicht klar, ob sie erst in jüngerer Zeit auf dem Markt sind, obwohl das Unternehmen sehr alt ist. Beispiel Mason Pearson, London, Brushmaker seit ca. 1860.
Das Unternehmen fertigt in erster Linie namhafte Haar-Bürsten. Auf der Fimen-HP tauchen jedoch kein Rasierpinsel auf, es gibt aber welche. Daher wird man es sich sicher schwer tun, Mason Pearson als “Rasierpinselhersteller” im eigentlichen Sinne zu verstehen.
Die hochwertigen Rasierpinsel von D.R. Harris, Trumper und anderen und jüngst Thiers Issard dürften von anderen namhaften Herstellern gemacht werden.
Nicht zu vergessen all die einstigen Namen, die es nicht mehr gibt oder nur noch in unscheinbarere Form. So gibt es die traditionsreichen englischen Coate´s Pinsel nicht mehr und Culmak produziert heute “nur” noch Borsten-Pinsel.
Hier findet man eine schöne Übersicht über Marken-Pinsel und Haartypen:
Badgerandblade I
Geschichtliche Daten oder Firmensitzangaben fehlen jedoch.
Und hier eine Übersicht über namhafte Marken:
Badgerandblade II
Gerademal 16 namhafte Marken sind weltweit aufgeführt.
Allerdings fehlen Marken wie Täther (wurde ja auch erst in letzter Zeit richtig entdeckt!), Golddachs, Baier, Semogue (Portugal), Joris (aus dem Hause Plisson), Acca Kappa,
Bsp. Semogue-Pinsel, die nicht so bekannt sind:
Foto
Fortsetzung im Teil II |