Diskussionsnachricht 000116
23.02.2006, 08:27 Uhr
erik kormann
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Es ist etwas länger, aber es lohnt sich.
Zweiundneunzigstes Kapitel
Grauer Amber
"Dieser graue Amber ist wirklich ein sehr merkwürdiger Stoff und ein so bedeutender Handelsartikel, daß im Jahre 1791 ein gewisser aus Nantucket gebürtiger Kapitän Coffin vor den Schranken des englischen Unterhauses feierlich darüber befragt wurde. Denn damals und sogar noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit zerbrachen sich selbst die Gelehrten vergeblich den Kopf, woher sowohl der graue Amber als auch der bekannte gelbe Amber, der Berstein, stammen mögen. (...) Der graue Amber dagegen, der ausnahmslos nur schwimmend auf dem Meer vorkommt, dagegen ist weich, wachsartig, und so stark duftend und würzig, daß er eine hervorragende Rolle bei der Herstellung von Parfümerien spielt: Haarpuder und Pomaden sowie Räucherkerzen und kostbare Lichte verdanken ihm ihr Aroma. Die Türken verwenden ihn in der Küche und nehmen ihn auch auf die Pilgerfahrt nach Mekka mit (...). Auch gibt es Weinhändler, die ein paar Körnchen Amber in ihren Rotwien geben, um ihn zu würzen.
Wer würde wohl denken, daß die feinsten Damen und Herren sich an einem Wohlgeruch laben, den man aus den ruhmlosen Gedärmen eines kranken Pottwals holt! Und doch ist es so. Der graue Amber wird von manchen für die Ursache, von anderen für die Folge mangelhafter Verdauung gehalten, an der Wale mitunter leiden. Wie eine solche Dyspepsie zu kurieren wäre, läßt sich schwer sagen; es sei denn, man gibt dem Patienten drei, vier Bootsladungen Rhabarberpillen ein und verzieht sich dann schleunigst aus der Schußlinie (...).
Daß der himmlisch wohlriechende Amber sich inmitten der widerlichsten Fäulnis seine Reinheit bewahrt - ist das nicht wunderbar? Vergeßt auch nicht die merkwürdige Tatsache, daß von allen Dingen üblen Geruchs Kölnisch Wasser in den ersten Stadien seiner Herstellung am übelsten riecht. (...)
Wale als Gattung stinken keineswegs, sofern man sie nur sachgemäß behandelt; und mit der Nase einen Waljäger aus anderen Menschen herausfinden zu wollen, wäre verlorene Liebesmüh. Und wie soll der Wal denn anders als wohlriechend sein, da er sich im allgemeinen doch bester Gesundheit erfreut, da er Bewegung im Überfluß genießt, sich stets im Freien aufhält - wenn er auch, zugegeben, nur wenig an die Luft kommt.
Ich behaupte: wenn der Pottwal seine Schwanzflosse hochschleudert, verströmt er ebensoviel Wohlgeruch wie eine moschusparfümierte Dame, die in einem warmen Salon ihre Röcke rascheln läßt."
Ein wunderschönen Tag,
Erik
Herman Melville, "Moby Dick - oder Der Wal", Dieterich`sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1956, S. 633-637 |