Diskussionsnachricht 000216
20.04.2006, 20:07 Uhr
maximilian
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""Guten Tag, Herr Habekuß", sagte Anton. "Ich soll mir die Haare schneiden lassen." "Schon recht. Nimm Platz, mein Sohn", sagte Herr Habekuß. "Wie geht's der Mutter?"
"Danke für die Nachfrage. Es geht ihr besser. Aber mit dem Bezahlen geht's noch nicht besser."
"Wieder wie das letzte Mal", sagte Herr Habekuß. "Zwanzig Pfennig Anzahlung, den Rest in Raten, hinten kurz, vorne etwas länger, ich weiß schon. Und das kleine Fräulein?"
"Ich bin bloß Publikum", erklärte Pünktchen. "Lassen Sie sich durch mich nicht stören." Herr Habekuß band Anton ein großes weißes Tuch um und säbelte mit der Schere drauflos.
"Kitzelt's schon?" fragte Pünktchen gespannt. Sie konnte es nicht erwarten. Und weil Anton nicht antwortete, sondern mäuschenstill saß, dachte sie sich rasch etwas anderes aus. Sie setzte Piefke auf den zweiten Stuhl, band ihm eine Taschentuch um den Hals un schmierte ihm Seifenschaum um die Schnauze. Piefke hielt den Schaum zunächst für Schlagsahne, aber weil das Zeug nicht schmeckte, zog er die Zunge wieder zurück und schüttelte den Kopf.
Pünktchen tat, als ob sie ihn rasierte. Sie schabte ihm mit dem Zeigefinger den Seifenschaum allmählich wieder vom Fell, tanzte um ihn herum und unterhielt ihn dabei, wie sie es bei Friseuren beobachtet hatte.
"Ja, ja mein Herr", sagte sie zu dem Dackel. "Das sind Zeiten! Ist Ihnen mein Zeigefinger scharf genug? Das sind Zeiten! Es ist zum, Sie wissen schon, was ich meine. Stellen Sie sich vor, bitte die andere Seite, stellen Sie sich vor, wie ich gestern nach Hause komme, hat meine Frau Drillinge gekriegt, drei Zelluloidpuppen, lauter Mädchen. Und auf dem Kopf wächst ihnen rotes Gras. Soll man da nicht verrückt werden? Und wie ich heute früh den Laden aufmache, steht der Gerichtsvollzieher schon drin und sagt, er müsse die Spiegel abholen. Warum? frag ich den Mann. Wollen Sie mich ruinieren? Tut mir leid, sagt er, der Finanzminister schickt mich, Sie essen keinen Rhabarber. Gegen den Strich, Herr Piefke? Wovon sind Sie übrigens so schön braun? Ach so, Sie benützen Höhensonne. Eine halbe Stunde später kam der Minister persönlich. Wir haben uns geeinigt, ich rasiere ihn eine Woche lang umsonst, täglich zehnmal. Ja, er hat einen sehr starken Bartwuchs. Wünschen Sie Kölnisch Wasser? Ich werde nächstens verreisen. Der Zeppelin sucht für seine Nordpolfahrt einen seekranken Friseur, der soll den Eisbären die Haare schneiden. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Ihnen ein Eisbärenfell mit. Puder angenehm?"
Pünktchen schmierte dem Dackel weißes Puder über die Schnauze, und Piefke starrte entsetzt in den Spiegel."
Erich Kästner, "Pünktchen und Anton" Wiener Verlag S 35-37 |