Diskussionsnachricht 000039
23.07.2017, 19:12 Uhr
Stefan P. Wolf
Forumsgründer
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Ich muss mich noch ein wenig weiter in die Studien einlesen, aber es
sind schon sehr viele Widersprüche und unterschiedliche Ergebnisse,
was besonders eine Metastudie (Recherche-Studie, die Ergebnisse aus
zurückliegenden Studien vergleicht und auswertet) zeigt. Es finden sich
bei der Abnahme der Haarzähigkeit durch Wasser Ergebnisse zwischen 30%
und 90%. Die Auswirkung von aktiv eingepinselter Rasierseife habe ich
noch gar nicht gefunden, nur einen Versuch mit SLS (also das Syndet
Sodium Laureth Sulfate aus vielen Duschgels), das offenbar bei einem
Vergleichsaufbau dem Wasser zugesetzt wurde und keinen Unterschied
brachte, ich gehe von reinem Einlegen abgeschnittener Haare aus. Auch
wurde festgestellt, dass sich bei perfekt scharfer Klinge das Barthaar
nicht umbiegt, obwohl die gemessene Kraft zum Schneiden des Haares
in diesen Studien doppelt so hoch wie die Zugkraft des Haares (im
entwickelten Modell...) war. Wie passt das zusammen? Zumal in der
Praxis perfekt scharfe Klingen nur diejenigen sind, die man noch nie
benutzt hat.
Das Problem ist, dass es nahezu unmöglich ist, die zum Schneiden der
Haare beim Rasieren des Barts nötigen Kräfte paraxisnah zu messen, es
sind immer theoretische Modelle nötig, die die Vorgänge auf eine Stufe
vereinfachen, die im Laborversuch messbar ist. Da ist aber kein echter
Bart, dessen Haare von Talg imprägniert sind und denen man mit einem
seifigen Rasierpinsel auch ganz erheblich mechanisch zu Leibe rückt!
Warum sich fettimprägniertes Barthaar in der Einweichgeschwindigkeit
und -wirkung in keiner Weise unterscheiden soll, egal ob man es nur
wässert oder mechanisch aktiv mit einem Pinsel einseift, erschließt
sich mir nicht und das deckt sich auch nicht mit meiner Beobachtung,
dass man mit gründlichem Befeuchten mit reinem Wasser noch sehr harte
Stoppeln hat, diese nach dem schnellen Einseifen schon sehr schnell
weicher werden und nach ausgiebigem Duschen (mit Duschgel, sonst eher
nicht, jedenfalls nicht, wenn man zu fettigem Haut/Haartyp gehört und
nicht gerade vor dem Zubettgaehen auch schon geduscht hat) auch! Auch
ist ein minutenlang ohne Seife befeuchteter Bart noch etwas anderes
als abgeschnittene und in Wasser gelegte Haare, Schaum soll auch Wasser
und Wärme am Haar halten. Das Haar wird nach dem Aussteigen aus der
Dusche nämlich enorm schnell wieder kalt und trocken!
In der Trockenheit oder Fettgkeit von Bart/Haut gibt es so viele Un-
terschieden und es gibt noch etliche Parameter mehr, da sind die Stu-
dienmodelle oft zu sehr vereinfacht oder auch gar nicht praxisrelevant,
was dann stark unterschiedliche Ergebnisse der Forschergruppen erklärt
oder für die Praxis überhaupt keine übertragbaren ergebnisse liefern!
Und dann darf man auch nicht vergessen, dass es auch Interessen der
Sponsoren solcher Studien gibt -- so werden Hersteller von Dosenschaum
kein Interesse daran haben, eine überlegene Wirkung von Seife zu un-
tersuchen, sondern Modelle entwickeln (lassen), in denen das nicht
herauskommt, während der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel
sagt: "Die Entfernung der Barthaare fällt deutlich leichter, wenn zuvor
die Talgschicht auf den Haaren durch eine Reinigung mit Waschemulsion
oder Seife entfernt wurde" (dpa 2015, zitiert wird Birgit Huber). Wer
viele Metastudien liest (ich habe 15 Jahre als Informatiker iin der
klinischen Forschung gearbeitet und dabei eine dreistellige Zahl von
Forschungsstuiden, Vorträgen und Postern unterstützt und dabei hunderte
Studien recherchiert und sehr viele davon auch gelesen), der merkt,
wie stark Interessen Ergebnisse beeinflussen -- nicht (nur) als di-
rekte Einflussnahme, sondern sehr oft allein durch die zu überprüfen-
de oder widerlegende These, von der die Forscher ausgehen. Selbster-
füllende Prophezeiung. Diese beeinflusst immens die Denkweisen, die
unterbewusst die Modellierung beeinflussen.
Es gibt zahllose Beispiele, die zeigen, wie sehr die Theorie die
Praxis verfehlt, man denke nur an die Hummel -- ich weiß nicht, ob
man inzwischen weiß, warum sie trotz wissenschaftlicher Widerlegung
ihrer Flugfähigkeit dieses Problem einfach ignoriert und doch fliegt.
Und wie wichtig die mechanische Unterstützung beim Entfetten ist, weiß
jeder, der T-Shirts mit Fettflecken mit Gallseife einfach kurz reibend
behandelt, weil sie auch mit dreimal Waschen nicht herausgehen.
Nachrichten, die mit "Studien haben gezeigt, dass" sollte man aus
dreierlei Grund sehr vorsichtig begegnen:
1) Oft geben die Labor-Ergebnisse sehr eng definierte Folgerungen in
eng begrenzten Situationen und aus diesen dann weiter (für komplexere
Praxis) zu verallgemeinern, ist selten zulässig. Gerade wenn Ergebnisse
völlig gegen den normalen Menschenverstand und ewig lange Erfahrung
sprechen, ist oft weitere Arbeit nötig. Früher haben die Leute nämlich
nicht alles nur gelesen und nachgeplappert, sondern jeder Meister
seines Fachs hat selbst probiert, probiert, probiert. Hätten Barbiere
nie Seife benötigt, sondern nur Wasser, dann fragt man sich doch...
2) Studien widersprechen sich unendlich oft in ihren Ergebnissen. Das
beweist, dass viele Studien schlicht falsche (oder zumindest für die
Praxis unbrauchbare) Ergebnisse liefern.
3) Studienaufbau und -interpretation ist nicht immer objektiv, daran
sind unvollkommene Menschen beteiligt.
Am Ende des Tages erleben wir Menschen, denen es mit oder ohne Dusche
vor der Rasur besser ergeht (weil es ja auch unerwünschte Auswirkungen
auf die Haut geben kann), welche die erst mit bestimmten Produkten
vor der Rasur (oder durch Weglassen derselben!) glücklich werden und
dann spricht auch noch Bequemlichkeit und Genuss für dies oder
jenes. Bei dieser Komplexität der Gegebenheiten fällt es mir schwer,
Studien mit nötigen Modellvereinfachungen als Grundlage dafür zu
nehmen, Leuten zu sagen, dass Ihr Eindruck völlig falsch ist und das,
was sie beobachten, nur eingebildet. Dann zweifle ich aus langjähiger
Erfahrung mit der Arbeitsweise von Wissenschaftlern (mich selbst
eingeschlossen) eher an der Eignung der Ergebnisse, für alles und
jeden und immer gültig zu sein, statt nur unter ganz bestimmten
Voraussetzungen.
Mehr kann ich dazu eigentlich nicht mehr sagen.
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