Diskussionsnachricht 000016
27.09.2003, 14:12 Uhr
Bernhard
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Hallo!
Ich stelle noch einmal -sine ira et studio- Fakten zusammen - um der Übersichtlichkeit willen.
1. Urin ist bis zur Blase steril und die paar Bakterien in der Harnröhre fallen gar nicht ins Gewicht. Schließlich empfehlen die Urin-Apostel ja i.d.R. Mittelstrahlurin und die Hände, mit denen wir unsere After-Shaves auftragen sind sicher nicht steril. Ein Seifenstück, das schon ein paar mal verwendet wurde, ist auch nicht steril - Sterilität ist kein Problem bei der Verwendung von Urin.
2. Urin enthält genau die Stoffe, von denen sich der Körper trennen will - richtig, aber deshalb kein Argument; kein Urin-Apostel empfiehlt, die gesamte ausgeschiedene Urin-Menge wieder aufzunehmen. Das Wiederaufnehmen einer kleinen Menge Giftstoffe beim Trinken von Urin führt zu einer geringförmig höheren Konzentration dieser Stoffe im Blut und damit zu einer höheren Konzentration im folgenden Urin - vertraut Euren Nieren, wenn sie gesund sind, kommen sie mit einer Menge Zeugs klar. Ähnliches gilt für die Haut - auch die kommt mit vielem klar.
3. Harnstoff oder gar körpereigenes Kortison als Argument sind unzulässig - allein deshalb schon, weil ihre Konzentration in riesigen Grenzen schwankt, je nachdem, wieviel man vorher getrunken hat. Trinkt man viel, dann wird mit der definierten Giftstoffmenge viel Flüssigkeit ausgeschieden und die Giftstoffe daher sehr verdünnt, trinkt man wenig, dann ist eben nicht so viel Flüssigkeit da und die Niere erzeugt eine höhere Konzentration. Davon kann sich jeder überzeugen, indem er mal schnell 1 bis zwei Liter Tee trinkt und sich dann seinen Urin auschaut oder an einem heißen Sommertag seinen Urin anschaut - der Konzentrationsunterschied ist an der Gelbfärbung problemlos zu erkennen.
Wenn ich also in so großen Grenzen nicht weiß, was in Urin enthalten ist, dann kann ich auch die Inhaltsstoffe nicht als Argument für die Anwendung anführen.
4. Vor wenigen Jahren ist Urin als Alternativ-Therapeutikum sehr in Mode gewesen, und für alles und jedes wurde er empfohlen. Viele Bereiche der Alternativ-Medizin entziehen sich der naturwissenschaftlichen Diskussion. Die Vertreter führen gerne pseudo-naturwissenschaftliche Argumente an (z.B. Im Urin ist Harstoff und der ist auch in vielen Salben für die Haut), vermeiden aber i.d.R. dennoch der naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweise. Das alles muss dem naturwissenschaftlich denkenden Menschen nicht gefallen, ist aber eine naturwissenschaftliche Tatsache: Auch wenn es unserer Logik nicht gefällt, verhalten sich viele Menschen eben wie sie sich verhalten und das haben wir zu tolerieren, soweit sie damit unsere Rechte nicht einschränken.
5. Unabhängig von der objektiven Ungefährlichkeit von gesundem Urin gibt es einen weiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Urin als "unsauber" gilt und dass es zu den allgemein gültigen Regeln der Hygiene gehört, ihn zu meiden. Will sagen: Wenn ich vom Klo komme, dann wasche ich mir die Hände. Unabhängig davon, ob ich sie für unsauber halte - ich folge einem gesellschaftlichen Konsens, dass man das so tut. Was habe ich davon? Ich kann von jedem anderen, dem ich die Hand schüttele erwarten, dass er sich auch nach dem letzten Toilettenbesuch die Hände gewaschen hat. In diesen basalen Grundregeln der Hygiene hat eine Gesellschaft zwei Möglichkeiten: Entweder, sie kontrolliert ihre Mitglieder, oder sie vertraut ihnen. Wenn sich die Gesellschaft für Vertrauen entschieden hat, dann ist es nicht einfach problemlos, wenn einzelne Mitglieder schweigend diesen Konsens verlassen.
Ich wohne hier nahe an der französischen Grenze und es kommt oft vor, dass sich relativ entfernt bekannte Menschen gegenseitig auf die Wange küssen. Wenn ein Urin-geaftershavter sich einfach so von seiner Arbeitskollegin auf die Wange küssen lässt, ohne es ihr zu sagen, so ist das ein Vertrauensbruch. Verkündet er aber weithin, dass er ein Urinapostel ist, muss er damit rechnen, den Ekel seiner Mitmenschen hervorzurufen.
Fazit: Medizinisch gesehen ist Urin-After-Shave harmlos, im gesellschaftlichen Miteinander ist es das keineswegs.
Gruß,
Bernhard |