Diskussionsnachricht 000026
17.06.2020, 15:38 Uhr
CaptainGreybeard
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@King-Joe: So ist es. Das Plastik von Klingenblock, Griff und Verpackung kommt zum Metall der Klingenstreifen hinzu. Beim Hobel hat man dagegen nur eine einzelne Klinge.
Ansonsten ist das mit dem Einwegrasierer nicht schwer zu verstehen: Man kauft sich mit dem Blue 3 Hybrid einen Einwegrasierer mit insgesamt neun Klingen. Jede Klinge hält - im Gegensatz zu denen von Mach 3 und Fusion, die vom Hersteller mit mindestens 15 bzw. 20 Rasuren angegeben werden - lt. Gillette bis zu 10 Rasuren, dann wird sie wohl getauscht werden müssen. Soviel also zum Thema, dass die Klingen der Einwegrasierer angeblich genauso gut sein sollen wie die der Systemrasierer mit Wechselklingen... Gillette mag alles mögliche sein, aber die geben ihren Kunden nicht eine der Mach 3- oder gar Fusion-Klinge ebenbürtige Blue 3-Klinge für einen wesentlich günstigeren Preis, so blöd sind die wirklich nicht.
Nach insgesamt ca. 90 Rasuren ist der Griff bzw. die Klingenhalterung wohl am Ende ihrer Haltbarkeit angekommen (eingebaute Obsoleszenz, kann natürlich auch sein, dass eine Klingenhalterung ein paar Wechsel mehr mitmacht) und wird dann komplett entsorgt. Der Klingenhalter selbst ist also eine Mehrfachhalterung, allerdings mit sehr begrenzter Lebensdauer. Als Ersatzklingen könnte man, rein theoretisch, die Klingen des regulären Blue 3, des Sensor und des Sensor Excel verwenden. Aber wie gesagt, ob sich das rentiert, das hängt davon ab, wie eng Gillette die geplante Obsoleszenz des Klingenhalters ausgelegt hat.
Es bleibt also bei einem ökologisch fragwürdigen Produkt, für welches es mit dem regulären Blue 3-Systemrasierer mit Metallgriff bereits eine wenigstens etwas umweltfreundlichere Alternative gibt.
Warum macht Gillette das alles? Warum bringen die, nachdem sie es jahrzehntelang als "die Revolution der Nassrasur" anpriesen, wenn sie noch ein paar zusätzliche Klingenstreifen in ihre Wechselköpfe gepackt, die Zusammensetzung des Glibberstreifens über den Klingenstreifen geändert oder den Kopf in noch ein, zwei, drei weitere Richtungen dreh- und schwenkbar gemacht hatten, so simple Rasierer, die auf dem Prinzip des alten Gillette Sensors von 1990 basieren und sich sogar noch unterhalb des inzwischen als "überholt" geltenden Mach 3 einordnen?
Nun, eine mögliche Antwort auf diese Frage hatte ich in einem anderen Thread bereits gegeben. Ich gebe zu, dass da auch etwas "Spekulatius" enthalten ist, aber im Grunde helfen einem ein paar Zahlen und eine allgemeine Kenntnis des Marktgeschehens schon weiter:
Von den einstmals fast 70 %, die Gillette im Jahr 2010 am Nassrasurmarkt in den USA hielt, sind gerade einmal knappe 53 % übrig geblieben. Die meisten Männer, die Gillette nicht mehr erreicht, sind dabei übrigens in das Lager der Bartträger abgewandert. In der Konsequenz verlor Gillette in den letzten Jahren ganz massiv an Wert, was wiederum dazu führte, dass Eigner P&G im Juli 2019 vom Wert der Firma und Marke "Gillette" den stolzen Betrag von 8 Mrd. US-$ abschrieb.
https://www.forbes.com/companies/gillette/#3c7ac04810a0 und https://www.cnbc.com/2019/07/30/procter-gamble-writes-dow...
Ein Grund ist sicherlich, dass Kunden nicht nur in Deutschland, dem Land des Geiz-ist-geil-Prinzips, sondern auch in vielen anderen Ländern, inzwischen deutlich preisbewusster und oft nicht mehr bereit oder, besonders in den USA, in der Lage sind, die fast schon aberwitzigen Systemklingenpreise zu zahlen. Dazu kommt die Konkurrenz der "Billigheimer" wie Dorco und Personna, die mit ihren Private-Label-Systemen Gillettes Spitzenmodelle preislich locker um 50 % und mehr unterbieten. Und natürlich "Klingen-Abo-Systeme" wie Harry's, die zwar bei uns nicht sehr erfolgreich operieren, dafür aber in den USA und anderen Ländern umso mehr.
Nun könnte Gillette dies ganz locker kontern und ihrerseits die Preise um 20, 30 % nach unten korrigieren, ohne dass sie auch nur entfernt in die Nähe der roten Zahlen gerieten. Doch damit hätten sie sich selbst gleich zwei riesengroße Probleme geschaffen. Zum einen wäre es das direkte Eingeständnis, die Kunden mit den bisherigen Preisen eiskalt abgezockt und nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen zu haben, und von einem solchen Imageschaden würde sich Gillette nur schwer erholen. Zum anderen wären sie damit für sehr lange Zeit nicht mehr in der Lage, ihre Preise mit einem später wieder zunehmendem Marktanteil zu erhöhen, was wiederum bedeutete, dass sich neue Produkte in den neuen, niedrigeren Preisrahmen einfügen müssten. Zum dem Imageverlust käme also noch ein langfristiger wirtschaftlicher Schaden, und das will Gillette vermeiden. Wie also wollen sie der in den letzten Jahren stärker gewordenen Konkurrenz begegnen und gleichzeitig die verlorenen Kunden vom Typ "Bartträger" wieder zurückgewinnen, ohne die Preise für ihre bereits am Markt befindlichen Modelle zu senken? Das können sie z. B., indem sie neue Modelle auf den Markt bringen, die sich preislich unterhalb der bereits bestehenden einordnen. Dazu passen die als "Konturenrasierer" vermarkteten Hobel (nebst entspr. Klingen) und dazu passt die Blue 3-Reihe, die als Veränderung gegenüber dem uralten Sensor (Excel) einen zusätzlichen Klingen- und einen geänderten Glibberstreifen mitbringt. Also letztlich doch wieder alles ganz im Sinn einer "Innovation" à la Gillette, wie oben schon geschildert. Diese Nachricht wurde am 17.06.2020 um 16:16 Uhr von CaptainGreybeard editiert. |