Diskussionsnachricht 000035
09.10.2005, 22:56 Uhr
Oscar
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22.03.2004, Quelle: Phillips
Rasieren: Grosses Übel - Grosse Lust
Von Horst-Dieter Ebert
Soviel ist immerhin klar: Wenn die Männer mehr Bärte trügen, brauchten sie weniger Rasierer. Als sie bei uns anfingen, sie zu stutzen, hat denn auch der Kaiser heftig gewettert: Ein Bart war ein Männlichkeitssymbol, und natürlich wollte der Kaiser Männer haben, keine glattrasierten Memmen. In der Armee wurden Befehle ausgegeben, „dass die moderne Barttracht – Abschneiden des Schnurrbartes bis auf wenige Haare unter der Nase – sich nicht für den preussischen Soldaten eignet und der Eigenart des Deutschen nicht entspricht“. Seine Majestät polterte: „Für einen richtigen Mann gehört sich ein ordentlicher Schnurrbart!“ Bartlosigkeit galt ihm als „Amerikanismus“, ergo als dekadent. Doch die ungehorsamen Untertanen scherten sich nicht um die kaiserliche Etikette: Stattdessen scherten sie sich, mehr und mehr.
Als dann im Ersten Weltkrieg die Gasmaske zu unrühmlicher Wichtigkeit kam, mussten eh alle Soldaten sich rasieren, denn nur bei dichtem Abschluss garantierten die Geräte Schutz vor Giftgasen. Und nach dem Krieg war dann ziemlich endgültig der Bart ab.
Ich würde gern behaupten, ich hätte das alles noch erlebt, doch fixe Kopfrechner könnten mir da schnell beweisen, dass das mathematisch unmöglich ist. Immerhin stamme ich aus einer, womöglich der letzten, Generation, in der das Rasieren noch ein großes Thema war: Ab Obertertia etwa, so nannte man damals die 9. Klasse, war bei uns „Nass oder Trocken“ eine ganz wichtige Frage, heute würde man sagen: ein gesellschaftlich relevantes Problem. Ich erinnere mich, dass ich damals stolz mit einem der üblichen Sicherheitsrasierer und gewaltigen Mengen von Schaum meine Karriere als Rasierer startete. Denn Rasieren bedeutete ja damals auch, Flagge zeigen: Achtung, ich bin jetzt erwachsen!
So sind in jenen Jahren, in denen die ersten Barthaare sprießen, Gespräche über Rasierer und Rasiertechniken ein Teil des Mannbarkeits-Rituals; wer nicht unter Beweis stellen kann, dass er mitreden kann, gerät da leicht ins Abseits. So ähnlich ergeht es sonst nur Jung-Rauchern, die nicht wissen, was ein Lungenzug ist. Lässt man den Stolz auf die frische Männlichkeit mal beiseite, muss man ehrlicherweise zugeben: Es war auch eine Tortur. Ich jedenfalls habe in meinen frühen Rasiererzeiten soviel Blut verloren wie später niemals wieder (ein paar Blutspenden vielleicht ausgenommen) – und engere Schulfreunde bekannten, dass es ihnen auch nicht anders ging: Sich nass rasieren, hieß bei den meisten, hart gegen sich selbst sein. „Ein Indianerherz kennt keinen Schmerz“, lautete die übliche Losung. Und das, zumindest im Rückblick, nicht ohne Hintersinn: So manches Mal sah man wirklich nach der Rasur aus wie Winnetou auf dem Kriegspfad.
Sobald wir es uns leisten konnten, wechselten wir zum sogenannten Trockenrasierer über. Der wurde ja in den sechziger Jahren enorm beworben und mauserte sich zu einem der beliebtesten Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke, sozusagen zur Krawatte der gehobenen Stände: Über 40 Prozent der Geräte wurden von Frauen erworben, als Geschenk für ihn. Das allgemein gültige Synonym für „Trockenrasierer“ für uns hieß „Philishave“.
Und der niederländische Philips Konzern – Weltmarktführer in Sachen elektrischer Rasierapparate – hatte seinen Modellen soeben einen dritten Scherkopf spendiert: Damit fühlten wir uns an der Spitze der technischen Entwicklung. Seit jenen Jahren auch herrscht der geradezu ideologische Streit zwischen Nass- und Trocken-Rasierern, unversöhnlich wie der zwischen Konservativen (rechts) und Progressiven (links). Nass stand lange Zeit für die gründlichere Rasur, allerdings mit mehr Aufwand, mehr Zeit, mehr Hautirritationen und -verletzungen. Trocken bedeutete mehr Schonung der Haut, mehr Bequemlichkeit, Zeitersparnis, indes weniger Perfektion.
Deutschland war vermutlich das erste Land, in dem sich beide Parteien alsbald ziemlich gleich groß gegenüberstanden – in der Rasiererfrage gehören wir durchaus zur Avantgarde, gelegentliche Schwankungen einkalkuliert. Denn kaum hatte die Trocken-Partei die Spitze übernommen, eroberte sich die Nass-Partei mit Rasierschaum aus der Sprühdose und der eisgehärteten, rostfreien Rasierklinge Marktanteile zurück. Und in der obersten Prestigeklasse, wo man für einen Rasierer in Sterlingsilber und einen Dachshaar-Rasierpinsel „Pur Blaireau Haute Montagne“ gut und gern dreimal soviel ausgeben muss wie für den fortschrittlichsten Trockenrasierer, herrschten weiterhin die Konservativen.
Im übrigen ist es ansonsten wie in der Politik; die Parteien haben sich einander angenähert. Die Nassrasur ist nicht mehr so blutig, der Imagewert von teurem Gerät spielt kaum noch eine Rolle. Die trockene Rasur ist sehr viel perfekter geworden, und viele Vorurteile haben sich verflüchtigt. Dass etwa die nasse Rasur die machomässige sei, ist vorbei, seit nicht mehr Großvaters Rasiermesser, sondern all die Sicherheitsklingen über die Wange schaben: Ein Torero mit der Super-Sicherheitsklinge neuester Machart – das kann nur ein lächerlicher Anblick sein!
Den größten technischen Fortschritt indes orte ich auf der Seite der Trockenrasierer. Nach pionierhaften Irrungen und Wirrungen – es gab Geräte, die mit einem Aufzug wie Spielzeugautos aktiviert wurden und sogar solche, die mittels Wasserkraft angetrieben werden sollten – hat sich bei ihnen der Elektromotor durchgesetzt. Anfangs musste man nach Steckdosen Ausschau halten, doch inzwischen halten die Akkus fortschrittlicher Geräte ziemlich lange durch; der Philips Sensotec etwa garantiert hundert Rasierminuten; das freut exzessive Reisende, die nicht allnächtlich in einem Hilton-Hotel Station machen: Es ist das Modell, das auch James Bond benutzt.
Doch auch die beiden anderen Vorbehalte der Nassrasierer-Partei, die problembewusste Kritiker traditionell ins Gespräch bringen, werden inzwischen anders beantwortet. Erstens: „Die Reinigung eines Trockenrasierers ist unbequem und unerfreulich“, und zweitens: „Das Frischegefühl, das eine traditionelle Rasur vermittelt, kann ein Trockenrasierer niemals liefern“.
In meiner Anfangszeit als Trockenrasierer habe ich in der Tat dessen Reinigung häufig verflucht: Mit Bürstchen und Pinselchen das Scherwerk des Geräts von allen Barthaar-Rückständen zu säubern kam mir stets wie eine Sklavenarbeit vor, und nicht viel appetitlicher als das Reinigen einer verstopften Pfeife. Und das Frischegefühl war in der Tat etwas, das sich auch durch die teuersten Rasierwässerchen nicht simulieren ließ.
Heute hat sich das alles gewandelt: Die Trockenrasierer von heute, die deshalb ja seit geraumer Zeit auch überwiegend als „Elektrorasierer“ gehandelt werden, sind durchaus nicht mehr wasserscheu. Ich kann meinen Philips Rasierer unter dem Wasserhahn abspülen wie einen klassischen Nassrasierer. Ich könnte mich damit sogar unter der Dusche scheren, was nach meiner Erfahrung indes vom Duschvergnügen all zu sehr ablenkt. Und: Der Philips „Cool Skin“ verteilt beim Rasieren eine wohltuende Emulsion auf der Haut, so dass die Scherköpfe wortwörtlich wie geölt darüber gleiten.
Kein Wunder, dass dieser Hersteller mit seiner Modell-Palette international zum Rekordhalter unter den Rasierer-Produzenten wurde. 400 Millionen verkaufter Geräte meldete Philips in diesen Tagen, umgerechnet auf 63 Jahre Rasierertradition bedeutet das: In jeder einzelnen Stunde wurden in dieser Zeit 740 Geräte verkauft, 24 Stunden pro Tag – schließlich werden sie in allen Zeitzonen dieser Welt angeboten.
Die Wissenschaft von den Rasiergewohnheiten ist nicht sehr hoch entwickelt – im Schlagwortregister der Hamburger Staatsbibliothek etwa fehlt zwischen „Rasterphotographie“ und „Raswan, Carl R.“ die Rasur total. Eines indes scheint klar: Der statistische deutsche Mann, der sich noch Mitte der fünfziger Jahre lediglich fünfmal in der Woche rasierte (der Brite: siebenmal), steigerte die Frequenz inzwischen deutlich. Ich glaube nicht, dass er eitler geworden ist. Doch das Rasieren mit den „nassen“ Philips Elektrorasierern ist soviel komfortabler und effizienter geworden, dass der Griff zum Gerät durchaus eine Art Genusshandlung geworden ist.
„Dass es für den weitaus größten Bruchteil aller Männer kein größeres Übel gibt, als das Rasieren“, wie das „Jahrbuch für Barbiere“ 1900 wehleidig klagte, ist wahrhaftig Vergangenheit. Die Barbiere sind über dieses Übel ausgestorben, das Barbieren ist geblieben und – ob trocken oder nass, doch stets elektrisch – für viele fast zu einer Lust geworden.
Horst Dieter Ebert schreibt seit rund 25 Jahren über Lifestyle und Konsum. Als Redakteur von Spiegel und Stern, als Chefredakteur des Feinschmeckers und seit zehn Jahren als freier Autor. Er war langjähriger Kolumnist des FAZ-Magazins („Warenwelt“), in einem „Almanach des Luxus und der Moden“ (DTV) hat er seine Erfahrungen mit den Produkten des schönen Lebens auch als Buch vorgelegt. |